Martin Suter – Melody (Rezension)

Buchcover Martin Suter Melody
(Copyright: Diogenes Verlag)

Erscheinungsdatum: 22.03.2023
(Diogenes Verlag, 336 Seiten, ISBN 3257072341)

Erhältlich bei:

Inhalt

In einer Villa am Zürichsee lebt Dr. Stotz – noch, denn aufgrund seines Alters und zahlreicher Krankheiten und Gebrechen sieht er sich dem Tod nahe und stellt den jungen Anwalt Tom vorsorglich schon zu Lebzeiten als Nachlassverwalter ein. Dr. Stotz war einst Mitglied des Schweizer Nationalrats und hatte weitreichenden Einfluss in Politik und Gesellschaft, und Tom soll die Berge an Unterlagen aus seiner Vergangenheit sichten und „sortieren“ – im Klartext, alles vernichten, was nach dessen Ableben ein schlechtes Licht auf Dr. Stotz werfen könnte.

Schnell entsteht ein Vertrauensverhältnis zwischen den beiden, und nach und nach erfährt Tom von Dr. Stotz, was ihn seit vielen Jahren am meisten beschäftigt: Die Suche nach seiner einstigen Verlobten Melody, die 1983 wenige Tage vor der geplanten Hochzeit spurlos verschwand. Im ganzen Haus sind Erinnerungsschreine für Melody errichtet, und bald meint Tom, ihre Anwesenheit spüren zu können – aber war Melody die, die sie zu sein vorgab, und wie hält Dr. Stotz es in seinen Erinnerungen mit der Wahrheit …?

Meine Meinung

Das Setting von „Melody“ erinnerte mich von Beginn an ein bisschen an „Rebecca“ von Daphne du Maurier: eine herrschaftliche Villa, eine verstorbene oder zumindest verschwundene Frau, die immer noch allgegenwärtig zu sein scheint, ein Mann, der sie niemals gehen lassen konnte. Und andeutungsweise gibt es im weiteren Verlauf auch die eine oder andere „Spukerscheinung“ – aber trotzdem ist „Melody“ keinesfalls ein Fantasyroman. Eher lassen sich wohl sowohl Tom als auch wir Leser*innen von der beklemmenden und durchaus irgendwie unheimlichen Atmosphäre dieses Hauses voller Aktenberge einerseits und der immer noch über allem zu schweben scheinenden Melody andererseits in die Irre führen.

Tatsächlich aber erzählt Martin Suter in seiner gekonnt beiläufigen und trotzdem eindringlichen Art eine Geschichte, wie sie tatsächlich passieren könnte. Dr. Stotz, sein Personal und nicht zuletzt Tom sind nahbar und realistisch gezeichnete Figuren, und das leckere Essen, das die italienischstämmige Haushälterin Mariella kredenzt, möchte man am liebsten selbst probieren. 😉

Die Story ist geschickt gestrickt: Dr. Stotz erzählt Tom etappenweise von seinen Erlebnissen mit Melody, aber auch das „Dazwischen“ ist keine bloße Staffage, sondern jederzeit interessant und hervorragend zu lesen. Trotzdem bleibt der rote Faden natürlich die Geschichte um Melody und ihr mysteriöses Verschwinden, und ich wollte unbedingt wissen, was mit ihr passiert ist. Ob das am Ende aufgelöst wird, mag ich hier nicht verraten – aber so viel sei gesagt: Der Schluss war für mich rund und setzte ein I-Tüpfelchen auf ein Buch, das mich in seiner Gesamtheit in jeder Hinsicht überzeugt und schlicht begeistert hat.

Die Quintessenz des Buchs waren für mich Fragen wie: Was ist wirklich „wahr“, was erzählen wir uns und anderen – sei es absichtlich oder unabsichtlich – so oft, dass wir es irgendwann selbst glauben, und wie wollen wir uns durch Schilderungen unserer Lebensgeschichte(n) entweder interessanter oder auch langweiliger darstellen, als wir es tatsächlich sind? In „Melody“ werden die verschiedenen Ebenen aus Wahrheit, Beschönigung und Lüge geschickt miteinander verwoben. Woran erinnert sich Dr. Stotz wirklich, was lässt er (bewusst oder unbewusst) aus, was fügt er hinzu, was glaubt er nur zu wissen, obwohl es eigentlich ganz anders war – und was stimmt am Ende?


Thalia
(*)

Fazit

Ich kannte bisher mit „Elefant“ nur ein Buch von Martin Suter, das mir auch schon sehr gefallen hatte, aber „Melody“ übertraf dies noch bei weitem. Vielleicht waren es wirklich die „Rebecca“-Vibes – eines meiner Lieblingsbücher –, vielleicht war es aber auch einfach die durchgängig spannende und großartig zu lesende Geschichte, die dieses Buch zu einem ganz besonderen Leseerlebnis für mich gemacht haben. Ganz große Leseempfehlung und definitiv ein Roman-Highlight für mich in diesem noch jungen Lesejahr!

(Danke an den Diogenes Verlag und Netgalley für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars. Keine weitere Vergütung erhalten.)

Bewertung

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2 Kommentare

  1. Genial die Auflösung mit dem letzten Wort. Aber die Liebesgeschichte ist schon hart an der Pilchergrenze.

  2. Ja, das Ende fand ich auch genial aufgelöst. 🙂 Die Liebesgeschichte als Pilcher-like zu empfinden, ist legitim – jeder hat seine eigene Kitschgrenze. 😀

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