Elina Penner – Nachtbeeren (Rezension)

Buchcover Elina Penner Nachtbeeren
(Copyright: Aufbau Verlage)

Erscheinungsdatum: 14.03.2022
(Aufbau Verlage, 248 Seiten, ISBN 978-3-351-03936-3)

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Inhalt

Nelli und ihre Familie sind als Russlanddeutsche zu Beginn der 1990er Jahre nach Ostwestfalen gekommen. Sie sind mennonitischen Glaubens und sprechen Plautdietsch, eine alte Variation des Ostniederdeutschen.

Knapp 30 Jahre später reflektiert Nelli an einem langen Sonntagnachmittag, an dem eines der traditionellen Familientreffen stattfindet, ihr Leben: Eine schwere Kindheit voller Gewalt im Elternhaus; mit 20 wurde sie dann schwanger und heiratete – weil man das eben so macht – den Vater ihres Kindes. Auch mit ihm wurde sie aber nie glücklich und „funktionierte“ in ihrem Leben nur noch. Nellis erlernter Beruf ist Metzgerin und sie bedauert, ihn nach der Geburt ihres Kindes nie wieder ausgeübt zu haben. Ein großer Wendepunkt in ihrem Leben war zudem der Tod ihrer geliebten Großmutter: Nelli wurde danach gläubig und lebt seitdem als fromme Mennonitin.

Kürzlich hat ihr nun ihr Mann Kornelius eröffnet, jetzt eine andere Frau zu lieben und sie verlassen zu wollen – und am Morgen nach besagtem Sonntagnachmittag macht ihr inzwischen 15-jähriger Sohn einen grausigen Fund in der heimischen Tiefkühltruhe: Hat seine Mutter etwa seinen Vater ermordet …?

Meine Meinung

Ein skurriler Plot, größtenteils erzählt von einer ziemlich angeschlagenen Hauptfigur – ohne Frage hätte „Nachtbeeren“ auch ein einziger großer Klamauk werden können. Zum Glück ist Elina Penner die Darstellung der Protagonistin aber sehr feinfühlig und respektvoll gelungen. Nicht alles, was in Nellis Kopf vor sich geht, ist unmittelbar nachvollziehbar, aber eben dadurch wird deutlich, mit was für einer geschundenen Seele wir es zu tun haben.

Am besten gefallen haben mir in dem Buch die wechselnden Erzählperspektiven. Zum größten Teil wird zwar aus Nellis Sicht erzählt, aber auch ihr Sohn Jakob und ihr jüngster Bruder Eugen kommen abwechselnd zu Wort. Mir haben die Teile, die von Jakob und Eugen erzählt werden, alles in allem sogar mehr zugesagt, denn darin kam die eigentliche Geschichte erst in Fahrt. Nelli selbst schildert vor allem ihre Gedanken und Gefühle und blickt auf ihr bisheriges Leben und das Verhältnis zu ihrer Familie zurück. Das war keinesfalls uninteressant, aber eben etwas handlungsarm. Ich mochte die Teile lieber, in denen etwas mehr „Action“ enthalten war. Das ist aber einfach Geschmackssache.

Nelli war mir als Protagonistin nicht unbedingt sympathisch, aber ich habe Mitleid mit ihr empfunden. Ansonsten fühlte ich vor allem mit ihrem Sohn Jakob mit, denn zwischen den Zeilen wird sehr deutlich, wie viel er in seinem jungen Leben schon in seiner schwierigen Familienkonstellation erdulden musste – auch wenn Nelli sich immer sehr liebevoll um ihn gekümmert hat.

Ein immer mal durchblitzender, aber sehr dezenter schwarzer Humor rundeten die Geschichte gut ab. Die nur 248 Seiten waren schnell zu lesen. Am Ende hätte ich mir vielleicht noch etwas mehr Auflösung gewünscht, denn vieles blieb am Schluss trotz des ausführlichen Blicks in Nellis Seelenleben doch noch im Dunkeln.

Die sog. Russlandmennoniten und ihre Sprache Plautdietsch waren mir vor dem Lesen absolut kein Begriff. Insofern hat das Buch meinen Horizont erweitert und ich habe ganz nebenbei einiges über diese Kultur lernen können. Vereinzelt eingestreute Begriffe und ganze Sätze aus dem Plautdietschen vermittelten mir außerdem auch einen Eindruck von der Sprache. Als Linguistin fand ich das interessant; andere Leser*innen stört es vielleicht.

Thalia
(*)

Fazit

„Nachtbeeren“ war ein gutes Buch für Zwischendurch, in dem ich mir noch etwas mehr Handlung und am Ende mehr Klarheit über die tatsächlichen Geschehnisse gewünscht hätte. Vielleicht hätten dazu sogar ein paar Seiten mehr nicht geschadet.

Ich spreche eine Leseempfehlung für alle aus, die Familiengeschichten und tiefe Einblicke in die Psyche einer vom Leben und ihren Erfahrungen gezeichneten jungen Frau erhalten möchten und sich nicht daran stören, dass das eine oder andere nur angedeutet bleibt und nicht vollständig aufgelöst wird.

Bewertung

(Danke an Aufbau Verlage und Netgalley für das Rezensionsexamplar. Keine weitere Vergütung erhalten.)

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