Susanne Abel – Was ich nie gesagt habe: Gretchens Schicksalsfamilie (Rezension)

Buchcover Susanne Abel Was ich nie gesagt habe Gretchens Schicksalsfamilie
(Copyright: dtv)

Erscheinungsdatum: 15.06.2022
(dtv, 560 Seiten, ISBN 3423290234)

Erhältlich bei:

Inhalt

Band 2 der „Gretchen“-Reihe“: Tom Monderath, ein bekannter Kölner Nachrichtensprecher, hat im ersten Teil seine Halbschwester in den USA aufgespürt, die gegen den Willen der gemeinsamen Mutter Greta vor vielen Jahren zur Adoption freigegeben wurde.

Durch den dafür notwendigen DNA-Abgleich tauchen plötzlich ganz unerwartet noch weitere Halbgeschwister auf – als erstes der sympathische Niederländer Henk, der Tom auf erstaunliche Art ähnelt. Tom und Henk haben allerdings nicht dieselbe Mutter, sondern denselben Vater – und so beginnt eine Reise in die Vergangenheit von Konrad, der als Jugendlicher im 2. Weltkrieg seine gesamte Familie verloren hat und später Gretas Ehemann wurde. Es bleibt die zentrale Frage: Wie kam es dazu, dass Konrad ganz offensichtlich noch Kinder mit anderen Frauen, unter anderem Henks Mutter, gezeugt hat …?

Meine Meinung

„Stay away vom Gretchen“ hat mir im letzten Jahr sehr gut gefallen, daher war ich nun natürlich gespannt auf die Fortsetzung. Greta selbst wird im zweiten Band eher zur Randfigur und kann Tom aufgrund ihrer fortschreitenden Demenz nicht mehr viel aus der Vergangenheit erzählen. Uns Leser*innen lässt Susanne Abel aber wieder sehr ausführlich an den Geschehnissen von früher teilhaben, nur eben diesmal mit Fokus auf Toms Vater Konrad statt auf Greta.

Besonders ergreifend fand ich hierbei die Schilderungen aus Konrads Kindheit und Jugend. 1928 geboren, verlor er schon sehr früh seinen Vater und später im Krieg nach und nach seine gesamte Familie, darunter seine geliebte kleine Schwester Lizzy. Diese hatte Trisomie 21 und starb nicht etwa bei einem Bombenangriff – mehr muss ich hierzu wahrscheinlich nicht verraten. Der reale Hintergrund machte diesen Teil der Geschichte für mich besonders schwer erträglich.

Was im weiteren Verlauf der Geschichte aufgedeckt wird, möchte ich ebenfalls noch nicht vorwegnehmen – hier kam ein für mich ganz unerwartetes Thema rund um den Komplex Vaterschaft auf, der die Frage nach Toms und auch Henks Herkunft noch mal stark verkomplizierte. Auch wenn die Auflösung nach einiger Zeit für mich als Leserin erahnbar wurde, war es weiterhin spannend zu lesen, wie die Wahrheit in der Gegenwart aufgedeckt wird.

Apropos Gegenwart: Wie schon im ersten Teil fand ich diesen Strang etwas schwächer erzählt als die Ereignisse in der Vergangenheit. Meine Vermutung war ja schon beim ersten Teil, dass die Autorin die beiden Zeitebenen auch sprachlich klar von einander abgrenzen wollte. Leider hat mir das als Stilmittel, wenn es denn tatsächlich eins sein soll, erneut nicht so gut gefallen. Natürlich ist das Geschmackssache. Die Ereignisse aus der Vergangenheit habe ich jedenfalls auch hier wieder mit größerem Interesse verfolgt, auch wenn Tom in der Gegenwart definitiv nicht mehr der Unsympath aus dem ersten Teil ist.

Mir war in der Gegenwart die eine oder andere Begebenheit außerdem etwas zu ausführlich geschildert, wodurch die Geschichte meiner Meinung nach ein paar Längen hatte. Ein Beispiel dafür ist eine Szene gleich zu Beginn, in der Tom und Henk gemeinsam den Christopher Street Day in Köln besuchen. Henk ist homosexuell, was aber für die Geschichte keine große Bewandnis hat. Daher hätte man dies aus meiner Sicht zwar natürlich kurz erwähnen können, die CSD-Szene brachte die Story meiner Meinung nach aber nicht voran und war deshalb verzichtbar.

Nichtsdestotrotz ließ sich auch dieser zweite Band wieder sehr gut „weglesen“, meine Aufmerksamkeit blieb kontinuierlich hoch und das Schicksal der Figuren wurde interessant dargestellt. Eine weitere Parallele zum ersten Teil war allerdings das für mich wieder etwas übertriebene Ende. Auch gab es ganz zum Schluss noch eine Enthüllung, die ich persönlich nicht gebraucht hätte. Es war dann am Ende etwas viel „Vater-Wirrwar“, das ich nicht mehr so ganz realistisch fand. 😉 Dennoch habe ich das Buch mit Freude gelesen.

Thalia
(*)

Fazit

Ich hatte irgendwie schon vor dem Lesen geahnt, dass ich „Was ich nie gesagt habe“ ähnlich bewerten würde wie „Stay away vom Gretchen“ – und genau das ist eingetroffen. (Nun kann man natürlich darüber streiten, ob es sich hierbei um eine selbsterfüllende Prophezeiung handelt. 😉 )

Das soll aber keinesfalls heißen, dass der zweite Band nur ein billiger Abklatsch des ersten wäre – das ist definitiv nicht der Fall. Mit Konrad nimmt Susanne Abel hier eine ganz andere Figur im Vergangenheitsstrang ins Visier, und ich bin sogar der Meinung – und habe diese auch in anderen Rezensionen bestätigt gefunden -, dass man den zweiten Band auch lesen und verstehen kann, wenn man den ersten nicht kennt. Alle zentralen Punkte werden auch hier noch mal erwähnt, ohne dass zu viel wiederholt wird.

Für alle, die den ersten Teil also schon vor längerer Zeit gelesen haben, wird die Geschichte daraus wieder präsenter, und wer ihn noch nicht kennt, wird alle Eckpunkte auch im zweiten Teil zumindest kurz angerissen finden. Dennoch sei natürlich empfohlen, die Bände in der richtigen Reihenfolge zu lesen. 😉

Eine klare Leseempfehlung für alle, die sich mit dem Themenkomplex NS-Zeit und ihren Nachwirkungen auch in Lebensbereichen beschäftigen möchten, die man nicht unbedingt landläufig auf dem Schirm hat.

Bewertung

(Danke an dtv und Netgalley für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars. Keine weitere Vergütung erhalten.)

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