Jessamine Chan – Institut für gute Mütter (dt. von Friederike Hofert) (Rezension)
Erscheinungsdatum: 30.03.2023
(Ullstein Buchverlage, 432 Seiten, ISBN 978-3550201332)
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Inhalt
Frida ist seit kurzem alleinerziehend und an einem, wie sie es nennt, besonders schlechten Tag so überfordert mit ihrem schreienden Baby Harriet, dass sie aus ihrer Wohnung flüchtet und ihre Tochter für zwei Stunden allein dort lässt. Als sie zurückkehrt, haben besorgte Nachbarn bereits die Polizei gerufen und Harriet wurde in Obhut genommen.
Von nun an lebt die Kleine bei ihrem Vater und dessen neuer Partnerin – und Frida wird in eine „Besserungsanstalt“ gesperrt, in der sie unter anderem mithilfe einer äußerst menschlich wirkenden KI-Puppe lernen soll, eine gute Mutter zu werden. Erst nach einem Jahr wird sie die Chance erhalten, Harriet zurückzubekommen – aber es besteht gleichermaßen die Gefahr, dass sie nicht nur das Sorgerecht endgültig verliert, sondern sich ihrer Tochter auch nie wieder nähern darf, bis diese volljährig ist …
Meine Meinung
Ich hatte vor einiger Zeit „The Mothers“ von Polly Ho-Yen gelesen, woraufhin mich gleich zwei andere Bloggerinnen auf ein Buch zu einer sehr ähnlichen Thematik aufmerksam machten – eben „Institut für gute Mütter“. Neugierig geworden, wollte auch ich einen Vergleich anstellen, hatte mich doch die Idee von „The Mothers“ sehr angesprochen, die Umsetzung derselben aber nicht ganz so gut gefallen.
Hat mich das „Institut für gute Mütter“ nun mehr überzeugt? Ja und nein.
Auch Jessamine Chan hat eine Dystopie in einer mutmaßlich nicht allzu fernen Zukunft entworfen. Im „Institut“ – eigentlich ein Gefängnis, teils drängen sich sogar KZ-Vergleiche auf – wird mit unmenschlichen Methoden gearbeitet, und jede kleinste Verfehlung der Mütter wird geahndet. Besonders „beliebt“ ist der Entzug der Telefonerlaubnis, dank der die Mütter ihre Kinder sonst wenigstens einmal die Woche per Bildschirm sprechen und sehen dürfen.
Der Roman rührt an einer unserer tiefsten Ängste – das eigene Kind, oder eben auch aus umgekehrter Perspektive, die eigene Mutter zu verlieren. Deswegen nahm mich die Geschichte emotional sehr mit, und einige Stellen fand ich wirklich schwer zu ertragen. Jede*r Leser*in sollte sich vor der Lektüre bewusst damit auseinandersetzen, ob es gerade der richtige Zeitpunkt im eigenen Leben ist, sich mit der Thematik „Trennung von Eltern und Kind“ zu beschäftigen.
Frida ist als Tochter chinesischer Eltern in den USA aufgewachsen, und Rassismus spielt im „Institut“ eine ebenso große Rolle wie Misogynie. Denn in der Einrichtung sollen sich zwar auch Väter „bessern“, werden aber viel nachsichtiger behandelt als die vermeintlich schlechten Mütter. Auch Themen wie Homosexualität, Gewalt, Mobbing, Suizid und Sucht werden angerissen.
Und das ist ein erster Kritikpunkt, den ich anzubringen habe: Letztendlich wurden mir hier zu viele Themen in einen einzigen Roman gepackt und andere dafür ausgespart, die mich auch sehr interessiert hätten. Zum Beispiel: Was ist das für eine Gesellschaft, in der derartige Einrichtungen als normal hingenommen werden, wie sieht die Welt außerhalb davon aus? Wie schon in „The Mothers“ blieb mir das dystopische Umfeld abgesehen von seinem hier behandelten Hauptaspekt weitgehend fremd.
Fast die gesamte Handlung spielt im Institut, und wirkten die dort angewandten Methoden zwar von Anfang an schockierend und absurd, ging mir die Übertreibung als Stilmittel im Verlauf irgendwann doch zu weit. Das hätte die Geschichte für mich nicht gebraucht; abgesehen davon, dass sie dadurch meiner Meinung nach auch unnötig aufgebläht wurde und mir alles in allem zu langatmig war.
Mir fehlte ab einem bestimmten Zeitpunkt einfach die Spannung, da man doch sehr schnell ahnt, in welche Richtung es geht, und mich persönlich auch Fridas Verhalten am Schluss nicht ganz überzeugte – das mögen aber zumindest rein emotional betrachtet Menschen anders sehen, die selbst Kinder haben.
Fazit
„Institut für gute Mütter“ ist ein emotional schwieriger, aber dennoch, auch dank der vortrefflichen Übersetzung, sehr gut zu lesender dystopischer Roman, der vielleicht ca. 50 Seiten kürzer hätte sein dürfen und/oder dem teilweise andere Schwerpunkte gut getan hätten. Wenn es dann am Ende noch einen echten „Knaller“ gegeben hätte, hätte ich möglicherweise die volle Punktzahl gegeben.
So reicht es für sehr gute 4 Sterne und ich empfehle das Buch trotz einiger Schwächen definitiv weiter – wie bereits gesagt, für Menschen, die mit diesem aufwühlenden Thema umgehen können und sich darauf einlassen möchten.
(Danke an Netgalley und Ullstein Buchverlage für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars. Keine weitere Vergütung erhalten.)