Mareike Fallwickl – Die Wut, die bleibt (Rezension)

Buchcover Mareike Fallwickl Die Wut die bleibt
(Copyright: Rowohlt Buchverlag)

Erscheinungsdatum: 22.03.2022
(Rowohlt Buchverlag, 384 Seiten, ISBN 3498002961)

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Inhalt

Helene ist Mutter von drei Kindern, allein gelassen mit sämtlicher Fürsorgearbeit insbesondere während der Corona-Pandemie, und eines Abends bringt eine vermeintlich harmlose Frage ihres Ehemanns das Fass zum Überlaufen: Sie steht wortlos auf und springt vom Balkon in den Tod. Zurück bleiben ihre Teenager-Tochter Lola und zwei Söhne im Kindergartenalter. Ohne zu zögern übernimmt ihre kinderlose beste Freundin Sarah nach und nach die Mutterrolle, während der Vater Johannes sein Leben genauso weiterlebt wie bisher.

Sowohl Sarah als auch Lola empfinden Wut auf das Gesellschaftssystem, das Frauen in die Rolle der Fürsorgerin drängt. Die Wut der einen ist eher hilfloser Natur, die der anderen wandelt sich in Kampfgeist – wie finden sie ihren Weg, sich auszudrücken?

Meine Meinung

Die Corona-Pandemie und was sie insbesondere Müttern zugemutet hat, ist ein Thema, das in der Öffentlichkeit viel zu wenig Gehör findet. Mareike Fallwickl gibt diesen Müttern eine Stimme, indem sie „die Mutter“ in ihrem Roman den radikalsten denkbaren Ausweg suchen (und finden) lässt. Zurück bleiben zwei Frauen aus ihrem Umfeld, die ganz unterschiedlich mit ihrer Trauer und der daraus resultierenden Wut umgehen.

Beide Hauptfiguren sind ambivalent gezeichnet: Da ist zum einen Sarah, die beste Freundin, die Helene und ihre Art zu leben bisher eher als abschreckendes Beispiel sah, sich nach ihrem Tod aber verpflichtet fühlt, ihre Rolle zu übernehmen – als Ersatzmutter für die Kinder, als Haushaltshilfe für die ganze Familie, als Entlastung für Vater Johannes, für den sich im Prinzip nichts ändert, weil er schließlich arbeiten „muss“. Sarah verzweifelt an seiner Passivität und beginnt zu begreifen, was Helene ihr vielleicht nicht mit Worten gesagt, aber mit vielen kleinen Gesten und schließlich der einen großen Geste am Ende gezeigt hat: Mütter können an den Erwartungen der Gesellschaft und den oftmals unausgesprochenen, aber internalisierten Erwartungen ihrer Partner – und auch an ihren eigenen durchaus zerbrechen.

Helenes pubertierende Tochter Lola weiß zunächst nicht, wohin mit sich, richtet Gewalt gegen sich selbst und schließlich auch gegen andere – genauer gesagt, gegen Männer, die Frauen Gewalt angetan haben. Dieser Teil der Geschichte regt definitiv besonders zum Nachdenken an – zu einer abschließenden Beurteilung bin ich allerdings noch nicht gekommen.

Ich verstehe, was die Autorin mit dieser sehr drastischen Entwicklung aufzeigen möchte, bin aber unschlüssig darüber, ob ich die Art, auf die sich Lolas Wut kanalisiert, unterstützen kann. Die Wut ist mehr als verständlich, die Reaktion darauf bleibt für mich fragwürdig. Womöglich ist das aber auch genau das, was hier aufgezeigt werden soll: Es ist nicht einfach, den einen richtigen Weg aus der Wut zu finden, vielleicht gibt es ihn auch gar nicht.

Mareike Fallwickls Schreibstil ist für mich eigentlich über jeden Zweifel erhaben. Ihre ersten beiden Romane „Dunkelgrün fast schwarz“ und besonders „Das Licht ist hier viel heller“ haben mich sprachlich sehr beeindruckt, und auch „Die Wut, die bleibt“ ist einfach nur unheimlich gut geschrieben – mit einem kleinen Wermutstropfen: Ich befürworte gendergerechte Sprache und pflege sie auch selbst, aber „mensch“ statt „man“ geht mir persönlich zu weit und hat mich an einigen Stellen genervt.

Eine weitere Kritik muss ich leider üben, die mich letztlich auch zu einem kleinen Punktabzug bringt: Das Buch reißt für meinen Geschmack zu viele Themen schlagwortartig an („Lola hat auf Twitter gelesen, dass …“), was auf mich hier und da überladen wirkte. Es schien, als sollten möglichst viele aktuelle Diskurse aus den sozialen Medien „mal eben“ untergebracht werden, was ihrer Komplexität meiner Meinung nach nicht Rechnung trägt. Dann vielleicht lieber eine neue Geschichte mit anderem Fokus. Ich würde sie gern lesen, denn Mareike Fallwickl hat definitiv viel zu sagen.

Thalia
(*)

Fazit

„Die Wut, die bleibt“ polarisiert, und das ist auch gut so. Ein Buch zu einem solch komplexen und hochemotionalen Thema kann und will nicht allen Leser*innen in allen Facetten gefallen, sondern sie zum Nachdenken bringen – und das ist Mareike Fallwickl mehr als gelungen.

Bewertung

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